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Das Wunder von Katowice - Mit Gaming den Strukturwandel meistern

Katowice - Eine Region im Umbruch

Von Kohle zu Gaming - Wie eine polnische Stadt den Strukturwandel meistert

"Spodek" ist das Herz der Intel Extreme Masters in Katowice und Angelpunkt des Strukturwandels.

"Spodek" ist das Herz der Intel Extreme Masters in Katowice und Angelpunkt des Strukturwandels. Monster Energy

Es soll alles mit einer kurzen Nachricht begonnen haben. "'Carmac', wir haben eine Arena, willst du die Intel Extreme Masters nicht nach Katowice bringen?" So ähnlich soll sie gelautet haben. Es ist der Anfang einer der größten und am längsten währenden Erfolgsgeschichten einer polnischen Stadt, die weltweite Bekanntheit durch den eSport erlangt hat.

"Wahrscheinlich hast du vor den IEM noch nie von Katowice gehört", sagt Michal 'Carmac' Blicharz mit seinem charakteristischen Lächeln. Er ist VP Product Development der ESL Faceit Group. "Jetzt kennen Leute in Korea, China, Australien und Brasilien die Stadt."

Manchmal höre ich, bei internationalen Meetings, wie die Stadt erwähnt wird und dann kommt's: 'Katowice? Ah, eSport!' - Das ist gigantisch, oder?

Michal 'Carmac' Blicharz

Michal 'Carmac' Blicharz hat die IEM in Katowice aufgebaut. EFG

Die Intel Extreme Masters (IEM) haben in Katowice gerade ihr elftes Jahr vollendet und sie sind, wie das Logo aus Pixeln, das schlagende Herz des Strukturwandels, durch den die Stadt gegangen ist. Eine monumentale Veränderung von Kohletagebau und schwerer Stahlindustrie zum Kultur-, eSport- und Bildungszentrum Polens - und das in nur 30 Jahren. Unvergleichlich. Aber wie kam das?

Die Demokratie ist da - was nun?

Das begann natürlich nicht mit einer SMS: In den 90er Jahren standen die Stadtverantwortlichen vor schwierigen Entscheidungen. Die Sowjetunion war gefallen, Polen nun eine Demokratie, die Zentralregierung schloss Kohleminen. Wie sollte es weitergehen mit Katowice?

“Die Regierung und die Behörden haben nicht mitgedacht. Sie meinten: 'Geben wir den Leuten Geld, damit sie ihren Job in der Mine an den Nagel hängen, dass klappt schon.' Natürlich klappte das nicht, denn man muss die Menschen weiterbilden, umschulen und ihnen zurück in den Arbeitsmarkt helfen", sagt Lukasz Zolciak. Er ist leitender Spezialist und Smart City Officer des Städtischen Unternehmensinkubators und betreut vor allem Startups in Katowice.

Es musste also eine andere Lösung her, eine politische. Die ganze Metropolregion musste umgebaut werden, und zwar in mehreren Phasen.

"In der ersten Phase der Transformation begannen wir, mit privaten Investoren zusammenzuarbeiten. Das erste Beispiel ist das Silesia City Center, ein Einkaufszentrum, das auf einem Gelände gebaut wurde, wo früher Kohleminen waren", sagt Zolciak und erzählt, dass er genau zur Wende geboren wurde: "Ich bin mit den Veränderungen aufgewachsen." Er ist Feuer und Flamme für das Projekt, von dem er nun ein federführender Teil sein kann.

Mit dem Silesia Center nimmt der Strukturwandel seinen Anfang. Das Einkaufszentrum wird auf einer ehemaligen Kohlemine gebaut. Jan Mehlich

Aber er weiß auch um die Probleme, die ein solcher Prozess mit sich bringt: "Es gibt viele Herausforderungen. Besonders die Gesellschaft oder das Verständnis in der Gesellschaft. Damals gab es viele Menschen, Bergarbeiter, eine Generation, die es gewohnt war, ihr Leben lang denselben Job zu machen. Sie mussten sich neu orientieren, neuer Job, Selbstständigkeit oder ein eigenes Unternehmen."

Das hätte aber nicht funktioniert, eben gerade, weil die Regierung den Menschen in den 90ern nur Geld, aber keine neue Ausbildung gegeben hätte. Die gegenwärtige Hürde sieht Zolciak in der Energietransformation, ganz ähnlich wie in Deutschland. Nicht jeder will die Erneuerbaren mittragen, wieder ist die Regierung mit Förderprogrammen gefragt. Deswegen ist es wichtig, die Bevölkerung mitzunehmen. So auch in Katowices Transformation.

Ein Blick in Spodek: Hier findet jedes Jahr die IEM statt, etwa 8.000 Leute passen gleichzeitig in die Halle. Monster Energy

Der Bürgermeister entscheidet

Die zweite Phase stellte eine Befragung der Menschen dar. Der Bürgermeister hatte dann jedoch andere Pläne: "Natürlich entschied er sich gegen die populäre Meinung… Und sagte, es sei das Wagnis wert, die 'Kultur Zone' zu schaffen."

Die besteht aus Konzerthalle und schlesischen Museum. Beides wird neu gebaut. Dazu kommen zwei weitere Gebäude, die speziell von den IEM genutzt werden, dazu gleich mehr.

Katowice sollte lebenswerter werden. Zolciak sagt, das ging alles flott von der Hand, die schlesischen Menschen wüssten, was gut für sie ist.

Das Konzerthaus des nationales Symphonieorchesters des Polnischen Rundfunks. Bartlomiej Barczyk - www.koniorstudio.pl

In Phase drei müssen Unternehmen für die Stadt gewonnen werden. Es ist der Zeitpunkt, an dem die IEM an den Start geht.

Der junge Stadtrat Michal Jedrzejek bringt 'Carmac' in Kontakt mit dem Bürgermeister. "Lass es uns als Einzelveranstaltung machen. Ich kümmere mich um alles!", soll geschrieben worden sein, erzählt Zolciak.

Spodek wird zur Heimstätte der IEM

Das damals innovative neue Format wird geplant, ohne zu wissen, ob das überhaupt funktionieren kann. Katowice hat eine alte Veranstaltungshalle, die wie ein Ufo geformt und heute weltweit ikonisch ist: Spodek. Eigentlich finden hier Volleyball- oder Handballturniere statt. "Zum ersten Mal in unserer Firmengeschichte haben wir uns für eine bekannte Sportarena entschieden. Spodek ist vielleicht nicht die neueste Arena, aber in Polen bekannt für Konzerte", sagt Blicharz.

Spodek ist wie ein Ufo geformt und dazu noch angeschrägt. Eine ikonische Bauform. Monster Energy

Die ganze Stadt stellt sich auf die Gamer ein. 2015 wird das Kongresszentrum gebaut, direkt neben Spodek. Heute findet hier parallel eine Mini-Messe statt, in den Tagungsräumen diverse Panels und Business-Gespräche. Noch so ein Twist, der einzigartig für Katowice ist: Damals fanden eSport-Events eigentlich nur als kleiner Randteil von Messen statt - nicht umgekehrt.

Die IEM bestehen aus zwei der größten Jahresturniere in Counter Strike und StarCraft 2. Es ist nicht irgendeine Veranstaltung im europäischen Hinterland: In SC2 sind alle wichtigen Profis aus der ganzen Welt dabei, in CS2 spielen nur die besten Teams - die Halle ist immer voll, die Stimmung gigantisch.

IEM-Startschuss: Wird die Arena überhaupt gefüllt?

Blicharz und die ESL haben anfangs aber große Bedenken, ob sie das Ufo überhaupt füllen können. "Es wäre peinlich gewesen, wenn nur 3.000 Menschen gekommen wären", sagt Zolciak. 'Carmac' erzählt: "Ehrlicherweise hatten wir Glück. Wir wussten nicht, wie viele Leute kommen würden." Aber es klappte, auch weil man damals ein starkes polnisches Team hatte: Virtus.Pro. Spodek also brechend voll, und noch viel mehr Leute in der Schlange draußen bei Minusgraden. In die Arena passen etwa 7.500 Menschen, 2024 besuchten über vier Tage verteilt 65.000 die Spielstätten und Expo.

Die Atmosphäre sucht ihresgleichen. Monster Energy

Phase drei - Neuausrichtung

Der Rest ist Geschichte. Könnte man sagen, aber für Katowice ist es erst der Aufbruch in die nächste Phase der Transition, die dritte: "2019 verzeichneten wir über 6.000 Geschäftsveranstaltungen, nicht nur im Kongresszentrum oder Spodek, sondern auch in Hotels. Wir zogen Unternehmen an und merkten: Der Name Katowice und die IEM, das gehört zusammen. Wir erkannten unser Potenzial in eSport und Spieleentwicklung."

Katowice

  • 287.000 Einwohner hat Katowice, damit die 11. größte Stadt in Polen
  • Die Metropolregion bewohnen sogar knapp 5,6 Mio. Menschen
  • Gelegen im südlichen Polen nahe der Grenzen zu Tschechien und Slowakei

Das nächste ambitionierte Großprojekt steht an: "Ein weiteres ehemaliges Kohlebergwerk wird umgewandelt. Die Behörden investieren und schaffen ein Kreativ- sowie Technologiezentrum, mit Spieleentwicklungs-Studios und eSport. Wir wollen eine Community um diese Themen bei uns versammeln."

60 Millionen Euro Fördergelder hat die Stadt für das Zentrum schon von der EU bekommen. Aus einem Topf, der für Regionen ist, die die Kohle aufgeben. 2026 soll es schon fertig sein, das Projekt wird betreut von der polnischen Regierung und auch Intel ist mit an Bord - wie genau, das sei laut Zolciak noch geheim. Von der Stadt gibt es das Rundumpaket: Allerorten wird gebaut, die Straßen sind vielfach ganz neu, alles ist extrem sauber und Katowice besticht mit einem Mix aus alter sowjetischer Architektur, den Kohlewurzeln und sehr modernen Gebäuden. Zusätzlich bekommt jedes neue Unternehmen einen direkten Ansprechpartner bei der Stadt, der durch den bürokratischen Dschungel führt. "Wir sind Schlesier; wir ziehen Sachen durch!", fasst Zolciak die mutige Entscheidung zusammen.

Das neue Ziel ist klar: "Die Gaming-Branche könnte die sein, für die Katowice zukünftig berühmt ist." Auch die polnische Sprache sei keine Hürde mehr, sagt Zolciak. Man mixe die Communities und es gäbe bereits viele ausländische Kräfte hier, Englisch sei kein Problem. Ganz stimmt das nicht, einer der Fahrer zum Flughafen spricht nur wenige Worte Englisch, zeigt aber begeistert IEM-Bilder auf seinem Telefon.

Ich glaube nicht, dass es je ein weiteres Katowice geben wird.

Michal 'Carmac' Blicharz

Wer die IEM in Katowice besucht, spürt diesen Geist, wie sehr die Stadt mit dem eSport verbandelt ist. Es wird deutlich in der Freude der Menschen, der Internationalität, der Begeisterung der Einwohner und dem Produktionsaufwand, der nur mit politischer Unterstützung möglich ist. Der eSport ist wahrlich das schlagende Herz des Strukturwandels in der verjüngten, auf die Zukunft ausgerichteten Metropolregion. "Ich bin stolz, Teil dieses Wandels zu sein", sagt Zolciak.

Zur IEM gehört auch eine kleine Messe. Für ansässige Unternehmen ist die jährliche eSport-Großveranstaltung lukrativ. Aber auch Sponsoren wie Monster Energy kommen auf ihre Kosten.  Monster Energy

Es ist beeindruckend, wie "schnell und glatt" das Ganze vorangeht: 30 Jahre läuft der Wandel erst und Katowice hat sich zum "eSport-Mekka" oder "Wimbledon" ('Carmac') entwickelt. Wie das möglich war: "Unsere Behörden sind aufgeschlossen und gesprächsbereit", glaubt Zolciak. Wenn eine Idee passe, werde sie erst diskutiert und dann umgesetzt - wie die IEM.

Und: "In Katowice sagen wir, dass es ein goldenes Dreieck der Beziehungen gibt: die lokale Regierung, die Universitäten und die Wirtschaft, die alle zusammenarbeiten müssen, um die Stadt gut zu entwickeln."

Katowice: Ein Erfolgsmodell auch für andere Städte?

Michal Blicharz überlegt lange, ob eine solche Entwicklung heute für eine andere Stadt möglich wäre. Vermutlich nicht, glaubt er, dafür bräuchte es ein extrem populäres Spiel: "Eine solche unbekannte, unerwartete Stadt als ein neues Katowice - das ist schon im Wortsinn unwahrscheinlich." Zolciak stellt auf Kommunikation ab: Dialogbereite Behörden könnten viel bewegen.

Team Spirit gewinnt die IEM 2024 in CS2. Sieger bei SC2 wird 'Serral'. Mit dabei waren 65.000 Leute über vier Tage verteilt. Monster Energy

kicker eSPort war schon 2018 in Katowice

Der VP 'Carmac' fasst zusammen: "Rückblickend muss ich den Mut bewundern für alles, was die Stadt getan hat, um uns hierher zu bringen. Hätte der eSport ohne die Intel Extreme Masters in Katowice seinen heutigen Stand erreicht? Zweifellos, das Publikum wäre letztendlich da gewesen, um Stadien zu füllen. Doch hätte Katowice ohne dieses Pionier-Event dieselbe globale Bekanntheit erlangt? Eher unwahrscheinlich."

Holm Kräusche

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