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Von Solo-Entwickler bis Börse: Was ist heute noch Indie?

Auf der Suche nach dem "Feenstaub"

Von Solo-Entwickler bis Börsen-Unternehmen: Was ist heute noch Indie?

Sammelplatz vieler Indie-Titel auf der gamescom: der Cosmocover-Stand.

Sammelplatz vieler Indie-Titel auf der gamescom: der Cosmocover-Stand. YouTube/Devolver Digital

"Sind wir noch Indie?" 

Diese Frage stellte sich John Tyrrell auf der gamescom 2023 selbst - und kam kicker eSports Frage damit zuvor. Der Marketing-Experte von Publisher Devolver Digital war sich der Antwort unsicher, tendierte aber zu nein. Schließlich ist sein Arbeitgeber vor knapp zwei Jahren sogar an die Londoner Börse gegangen. "Kannst du Indie sein, wenn du Firmenanteile verkaufst?", legte Tyrrell nach. Wohl kaum. Doch was ist dann heute überhaupt noch Indie? 

Geht es nach Tyrrell, sind es die Entwickler, die vom Publisher unterstützt werden. Denn der Brite versteht Devolver als "Vermittler und Ermöglicher, der das bestmögliche Ergebnis erzielen will". Vermittelt und ermöglicht wurden in den vergangenen Jahren erfolgreiche Spielereihen wie Hotline Miami oder Serious Sam sowie die Überraschungserfolge Fall Guys und My Friend Pedro. Zwei dieser Titel verdeutlichen die Bandbreite der Indie-Szene.

"Vermittler und Ermöglicher" für Indie-Games: Devolver Digital. Devolver Digital

Während bei Serious-Sam-Entwickler Croteam inzwischen 60 bis 70 Menschen arbeiten, stammt My Friend Pedro von einer einzigen Person. Hinter "DeadToast Entertainment" steckt der Schwede Victor Agren - und zwar ganz alleine. "Als er das Spiel entwickelt hat, lebte er noch in einem ganz kleinen Apartment", erzählte Tyrrell. "Dank des Erfolgs von My Friend Pedro kann er jetzt so wohnen, dass er einen separaten Raum für sein Büro hat."

Nichts gibt mir mehr, als zu sehen, wie kleine Entwickler einen großen Hit landen und ihr Leben verbessern.

John Tyrrell, Devolver Digital

Geschichten wie diese seien es, die Tyrrell motivierten: "Für diese kreativen Menschen machen wir das. Der Gedanke, dass wir ihnen helfen können, treibt uns an. Nichts gibt mir mehr, als zu sehen, wie kleine Entwickler einen großen Hit landen und ihr Leben verbessern." Nach strenger Auslegung der ursprünglichen Definition ist aber nicht mal One-Man-Show Agren noch Indie.

Der Begriff stellt die Kurzform von "independent" dar. Zu deutsch: unabhängig. Das gilt in seinem Kern vor allem bezüglich großer Geldgeber, kommerzialisierter Publisher - eben Devolver. Allerdings kann diese Definition auch anders interpretiert werden: Losgelöst von Mainstream-Themen und -Formaten.

Von Abhängigkeit will Tyrrell trotz Finanzspritzen jedenfalls nichts wissen. So wolle man auf gar keinen Fall zu großen Druck auf seine Entwickler ausüben. 

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"Wir zwingen niemanden, ein unfertiges Spiel zu veröffentlichen. Die Idee, dass man starr an einem bestimmten Release-Tag festhalten muss, ist schrecklich", sagte Tyrrell. "Wenn das Spiel nicht fertig ist, ist es eben noch nicht fertig. Wir haben es zu Devolver geholt, weil wir an sein Potenzial geglaubt haben. Wenn wir es den Entwickler nicht fertigstellen lassen - warum haben wir es dann überhaupt geholt?"

Auch Devolver selbst sei nach dem Börsengang 2021 durch die neuen Investoren nicht negativ in der Arbeitsweise beeinflusst worden. "Wir haben keinen verrückten Monopoly-Mann, der reinkommt und schreit: 'Wir brauchen Profit in diesem Quartal! Wo sind die Spiele?'", meinte Tyrrell. Er habe auch schon für einen anderen öffentlich gehandelten Publisher gearbeitet, bei dem das anders gewesen sei. 

Geld zu generieren und sich selbst unter den Spielern bekannt zu machen, sind die größten Aufgaben.

Guillaume Crouzille, Blue Loop Studios

Wie Agren ist auch Guillaume Crouzille als Blue Loop Studios ein Solo-Entwickler. Der Franzose stellte auf der gamescom sein allererstes Projekt vor. "Quadroids" wird die Multitasking-Fähigkeit der Spieler auf die Probe stellen: Der Bildschirm wird in vier Kacheln unterteilt, in denen jeweils ein Roboter gesteuert werden muss - gleichzeitig. Den Release peilt Crouzille für Ende 2023 an.

Vier Kacheln, vier Roboter: Quadroids wird Crouzilles erster ganz eigener Titel. Steam/Blue Loop Studios

"Solo-Entwickler bin ich wegen der Freiheit geworden. Ich brauchte das an diesem Punkt in meinem Leben. Ich musste in der Lage sein, alles zu tun und zu bestimmen. Wenn etwas schiefgegangen ist, wusste ich, dass es mein Fehler war. Wenn ich etwas entfernen wollte, konnte ich das", so Crouzille. Unterstützt wird er von Cosmocover. Dort arbeitet man sonst unter anderem auch mit Videospielgiganten wie SEGA, Epic Games oder Ubisoft zusammen. Somit konnte auch er schon einen renommierten Publisher für sein Erstlingswerk an Land ziehen.

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Als "großes Glück" bezeichnete Crouzille diese Kooperation. Denn: "Geld zu generieren und sich selbst unter den Spielern bekannt zu machen, sind die größten Aufgaben." Es mutet paradox an, dass die kleinsten Entwickler, die sich stolz der Indie-Szene verschrieben haben, der strengen ursprünglichen Definition nicht mehr so ganz entsprechen wollen. Es könnte also eine neue brauchen. 

Kreativität, Menschlichkeit und Emotionen in der Entstehung - das findest bei den großen kommerziellen Projekten kaum.

Xuan Li, Thermite Games

Eines der Spiele, die Thermite Games auf der gamescom vorgestellt hat: Detained: Too Good for School. Thermite Games

Statt schlicht zu fragen, ob ein größerer Publisher als Geldgeber vorhanden ist, könnte die Antwort viel eher in Motivation und Herangehensweise liegen. "Du siehst immer die Kreativität. Und manchmal auch die Menschlichkeit hinter den Spielen. Kreativität, Menschlichkeit und Emotionen in der Entstehung - das findest bei den großen kommerziellen Projekten kaum", sagte Xuan Li gegenüber kicker eSport. 

Der Gründer von Thermite Games fungiert mit seinem Unternehmen ähnlich wie Devolver als Financier. Das Angebot an die Entwickler belaufe sich in der Regel "irgendwo zwischen 200.000 und 800.000 US-Dollar". Manche Titel generieren laut Li "das Zehnfache des Investments. Aber es ist für mich schon ein Erfolg, wenn die Ausgaben refinanziert werden". Das Ziel sei nicht, "die größte Firma der Welt zu werden. Sondern zu publishen, was wir lieben". Spielfreude trumpft Einnahmen.

Bei Indie-Games gehe es laut Tyrrell "um Ideen". Er und seine Kollegen würden immer nach "etwas Besonderem suchen". Eine gewisse Magie soll beim Spielen transportiert werden - er sprach von "Feenstaub". "Genauer kann ich das nicht definieren", fügte er hinzu. Muss er wohl auch nicht. Vielleicht passt eine emotionale Definition eh viel besser zur Selbstwahrnehmung der Indie-Akteure als eine technische. 

Niklas Aßfalg

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